Durchführung der persönlichen Anhörung und der Verschaffung eines persönlichen Eindruckes im Rahmen einer Videokonferenz

NRW, Hessen, Niedersachsen und Saarland haben über eine Bundesratsinitiative angestrebt, während einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Abs. 1 InfSG die persönliche Anhörung  und die Verschaffung eines persönlichen Eindruckes in Form einer zeitgleichen Übertragung in Bild und Ton an einem anderen Ort zuzulassen, vgl. BR-Drucks. 211/20. In dem Gesetzesentwurf ist ausgeführt, dass die derzeitigen gesetzlichen Möglichkeiten nach §§ 32 Abs. 3 FamFG, 128a ZPO dazu nicht genügen. Es fehlt bei einer Videokonferenz die Möglichkeit,  die Anhörung im Angesicht, also unter sinnlicher Wahrnehmung (unmittelbares Hören, Sehen, Riechen, zwischenmenschliche Schwingungen), vorzunehmen und sich den persönlichen Eindruck vom Betroffenen zu machen. Dies verlangt aber das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 2016, abgedruckt in NJW 2016, 2559, Rn. 14.

Über diese Initiative hat der Bundesrat im Wege der sofortige Sachentscheidung in seiner 989. Sitzung am 15. Mai 2020 entschieden und beschlossen, den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Abs. 1 GG beim Deutschen Bundestag einzubringen. Die Bundeskanzlerin hat den Gesetzesentwurf am 01.07.2020 dem Bundestag mit der ablehnenden Stellungnahme der Bundesregierung übersandt, vgl. BT-Drucks. 19/20623. Der Bundestag hat über den Gesetzesentwurf bislang noch nicht beraten.

Mit der vom Bundesrat angestrebten gesetzlichen Neuregelung in §§ 278, 319 FamFG sollen die Gerichte in einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite die technischen Möglichkeiten einer Videokonferenz nutzen dürfen. Die Gesetzesinitiative sollte zur Schaffung einer Rechtsklarheit rasch umgesetzt werden. Die Rechte der Betroffenen werden ausreichend gewahrt, da zunächst zu prüfen ist, ob die persönliche Anhörung unter Nutzung von Schutzvorkehrungen möglich ist und – falls nicht – die Anhörung unter Verschaffung eines persönlichen Eindruckes nach Abklingen der epidemischen Lage unverzüglich nachzuholen ist. Zudem wird den Gerichten bei der Entscheidung über den Einsatz einer Videokonferenz und die Auswahl der technischen Mittel pflichtgemäßes Ermessen eingeräumt. Das ermöglicht es etwa bei Betroffenen, die sich wahnhaft überwacht und/oder verfolgt fühlen, von ihnen akzeptierte technische Hilfsmittel einzusetzen oder auf eine Videokonferenz zu verzichten und den üblichen Weg der persönlichen Anhörung sowie der Verschaffung eines persönlichen Eindruckes zu wählen.

Die notwendigen technischen Voraussetzungen für eine Videokonferenz außerhalb der Landesverwaltungsnetze bestehen. Beim Amtsgericht Essen wurde probehalber seitens der Zivilabteilung im Rahmen des § 128a ZPO ein entsprechender Versuch erfolgreich durchgeführt. Die Teilnehmer (Anwälte, Parteien, Zeugen oder Sachverständige) können über eine kostenlose Software (WebEx Meet der Firma Cisco) mit einem frei herunterladbaren Programm oder sogar im Internet-Browser teilnehmen. Das Gericht spricht kurz vor Beginn der Verhandlung eine Einladung an die potentiellen Teilnehmer aus. Dazu muss lediglich in der Software die E-Mail-Anschrift der konkreten Teilnehmer eingetragen werden. Die Einladungen können diese dann annehmen (ohne weitere Registrierung) und alle sind sofort in der Sitzung miteinander verbunden. Alle Teilnehmer sind auf dem großen Monitor im Gerichtssaal zu sehen.


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