Zutrittsrechte von rechtlichen Betreuern in Zeiten der Covid-19 Pandemie
Der renommierte Verfassungsrechtler Prof. Dr. Friedhelm Hufen hat im November 2020 ein Gutachten für die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen erstattet.
In dem Gutachten legt er dar, welche Grundrechte die Schließung der Heime, Ausgangssperren und Isolation der Bewohner verletzen. Gleichzeitig soll das Gutachten allen Beteiligten und Gerichten Rechtssicherheit vermitteln.
Aus Sicht des Herrn Hufen sind Heimbewohner uneingeschränkt Träger der Grund- und Freiheitsrechte, insbesondere der Menschenwürde, der Grundrechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, auf Ausübung von Religion sowie auf Schutz von Ehe und Familie. Auch die entsprechenden Grundrechte der Angehörigen, nahestehender Personen, Ärzten, Betreuern, Pflegern und Rechtsbeiständen müssen beachtet werden.
Im Rahmen der Drittwirkung von Grundrechten erachtet Herr Hufen die Grundrechte als unmittelbar geltend auch für private Heimeinrichtungen.
Herr Hufen warnt vor einer pauschalen Beurteilung und lenkt den Blick darauf, dass in jedem Einzelfall konkret abzuwägen ist. Weiter weist er darauf hin, dass Grundrechtseingriffe (mit Ausnahme eines Eingriffes in die Menschenwürde) aufgrund von Rechtfertigungsgrundlagen erlaubt sein können. Er erachtet allerdings das Hausrecht des Heimträgers insoweit als eher problematisch und nicht geeignet. Auf jeden Fall müsse die Ausübung des Hausrechtes stets im Lichte der einschränkenden Grundrechte sowie der Sozialbindung des Eigentums verfolgen.
Das Infektionsschutzgesetz erachtet er als zu unbestimmt, um konkrete Eingriffe in die Grundrechte von Heimbewohner zu rechtfertigen. Das Gutachten berücksichtigt aber noch nicht den seit dem 19.11.2020 geltenden § 28a IfSG. Er besagt: in Abs.1 u. a.:
Notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) können für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag insbesondere sein … Nr. 15. Untersagung oder Beschränkung des Betretens oder des Besuchs von Einrichtungen des Gesundheits- oder Sozialwesens, …, ergänzt in Satz 2 aber: Schutzmaßnahmen nach Absatz 1 Nummer 15 dürfen nicht zur vollständigen Isolation von einzelnen Personen oder Gruppen führen; ein Mindestmaß an sozialen Kontakten muss gewährleistet bleiben.
Im Rahmen der Abwägung und der Prüfung der Verhältnismäßigkeit muss beachtet werden, dass andere Verfassungsgüter nicht einseitig bevorzugt oder verdrängt werden. Anders als der Menschenwürde kommt dem Lebensschutz dabei kein absoluter Vorrang vor anderen Grundrechten zu. Aufgrund dessen wird seit dem 19.11.2020, wenn ich Herrn Hufen richtig deute, für die Entscheidungsträger vor Ort vor allem der § 28a Abs. 1 S. 2 IfSG zu beachten sein. Dort wird ein aktueller Gewährleistungsinhalt der Grundrechte festgelegt und damit für die Behörden und Heimträger verbindlich sowie subjektiv und gerichtlich durchsetzbar ein Recht für die jeweils begünstigten Personen geschaffen.
Darüber hinaus führt das Gutachten aus, dass auch der Schutz von Leben und Gesundheit der Mitbewohner und des Pflegepersonals sowie die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems im Rahmen der Abwägung zu beachten sind, ihnen aber kein absoluter Vorrang vor anderen Grundrechten zukommt. Besonders zu berücksichtigen ist nämlich das Leiden von Demenzkranken an einer für sie nicht begreifbaren Isolation. Zudem tritt das Gewicht des reinen Lebensschutzes mit der Annäherung an das Lebensende gegenüber der Wahrung der Lebensqualität, der seelischen Gesundheit und der dazu erforderlichen sozialen und kulturellen Teilhabe zurück („in dubio pro dignitate“).
Im Ergebnis kommt Herr Hufen dazu, dass Besuchsverbote nur als letztes Mittel des Gesundheitsschutzes in den Einrichtungen in Betracht kommt. Vor allen Dingen warnt er davor, angesichts der Vielzahl von Pflegeeinrichtungen verallgemeinernde und undifferenzierte Besuchsverbote zu verhängen. Zu beachten ist zudem, dass es inzwischen auch ausreichende Schutzkleidung, Trennwände und Hilfsmittel gibt, um den Schutz der Bewohner untereinander und bei Besuchen zu gewährleisten. Gegebenenfalls sind besondere Räume zur Durchführung von Besuchskontakten vorzuhalten.
Ausgangssperren für Heimbewohner bzw. faktische Ausgangssperren durch Verhängung einer Quarantäne bei Rückkehr stellen nach Auffassung des Herrn Hufen ebenfalls einen unverhältnismäßigen Eingriff dar. Mildere Mittel sind hier etwa Testungen bei Rückkehr, Schutzkleidung, gesonderte Wohnbereiche etc. Ähnlich kritisch sieht Herr Hufen interne Kontaktsperren oder das Verbot von Gemeinschaftsveranstaltungen bzw. das Gebot, die Mahlzeiten auf dem Zimmer einzunehmen.
Das Gutachten finden Sie unter:
Das OVG Lüneburg hatte bereits mit Beschluss vom 17.04.2020 – 13 ME 85/20 – entschieden, dass einem bestellten Betreuer der Zutritt zur Betreuten, die in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft lebt, nicht durch eine ordnungsbehördliche Allgemeinverfügung untersagt werden kann. Eine solche Verfügung sei offensichtlich rechtswidrig. Zur Begründung führt das Gericht aus, dass eine derartige Beschränkung des Zugangsrechts des Betreuers keine notwendige Maßnahme im Sinne des § 28 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz darstellt. Da bereits eine Vielzahl anderer Personen keine Zutrittsrechte besitzen, sind keine infektionsrechtlichen Gesichtspunkte erkennbar, die eine Hinderung des Betreuers an der Erfüllung seiner Aufgaben rechtfertigen könnte. Mit der Wahrnehmung der Betreueraufgaben ist notwendig auch die persönliche Kontaktaufnahme zur Betreuten verbunden.